Deutschland verkaufte im Jahr 2024 mehr als 15 Millionen Tonnen pharmazeutische Produkte an China, während China mehr als 33 Millionen Tonnen an Deutschland verkaufte.
Ob Schmerzmittel, Antibiotika oder Diabetes-Medikamente: Auf Medikamente aus China kommen deutsche Apotheken kaum noch aus.
Täglich laufen in China viele bunte Pillen und Pulver vom Band und landen später in deutschen Mägen. Drei Viertel (76 Prozent) aller nach Deutschland importierten Antibiotika-Wirkstoffe stammen inzwischen aus China, wie aus einem Bericht des Pharmaverbands Pro Generika e. V.
Auch wenn Medikamente in Indien oder den USA hergestellt werden, enthalten die anderen großen Player auf dem globalen Pharmamarkt in der Regel immer noch chinesische Inhaltsstoffe.
Das Beispiel des Diabetesmedikaments Metformin zeigt die Rolle Chinas und Indiens besonders deutlich. Von den 22 wichtigsten Herstellern weltweit befinden sich 15 in Indien, zwei in China und drei in Europa, so der Bericht von Pro Generika.
Mittlerweile stammen 80 Prozent der deutschen Lieferungen der chemischen Verbindung Dicyandiamid, die zur Herstellung von Metformin benötigt wird, aus China.
Aufgrund der von den deutschen Krankenkassen ausgehandelten Rabattverträge müssen Hersteller möglichst günstig produzieren, am günstigsten ist es meist im Ausland.
Medikamente als Hebel
Generika sind Arzneimittel, deren Patentschutz abgelaufen ist und die daher von jedermann hergestellt werden können. Laut einem Bericht der Critical Medicines Alliance machen sie 90 Prozent der in der Europäischen Union als kritisch eingestuften Arzneimittel aus.
Kritische Medikamente sind Medikamente, die für die medizinische Versorgung unerlässlich sind, aber von Versorgungsengpässen bedroht sein könnten.
Ihre niedrigen Preise verdanken sie der Produktion in Ländern wie China oder Indien, wo chemische Komponenten und Tabletten deutlich günstiger hergestellt werden können. Dort ist die Arbeitskraft günstiger und die Umweltauflagen sind weniger streng.
„Die Billigproduktion im Ausland war das Ergebnis einer ‚Cheap is cool‘-Mentalität“, sagte Michael Müller, Professor für Pharmazeutische und Medizinische Chemie an der Universität Freiburg.
„Die Idee, dass Fabriken nach Deutschland zurückgeholt werden könnten, ist politisches Wunschdenken. Die Kosten wären enorm und es fehlt uns an Fachkräften“, fügte er hinzu.
Selbst ein Wiederaufbau deutscher Produktionsanlagen würde daran kaum etwas ändern: „Wir können die benötigten Rohstoffe nicht selbst produzieren. Wir sind eindeutig auf China angewiesen“, sagte Müller.
Hunderte Medikamente sind Mangelware
Im Jahr 2024 exportierte Deutschland Pharmaprodukte im Wert von fast 4,1 Milliarden Euro nach China. Nach Angaben der Bundesregierung beliefen sich die Importe von Arzneimittelwirkstoffen, Tabletten und Co. aus China auf insgesamt 722 Millionen Euro.
Doch die Summen täuschen.
Ein Blick auf das Gewicht zeigt, dass Deutschland mehr als 15 Millionen Tonnen Arzneimittel nach China verkauft hat. Im Gegenzug verkaufte China mehr als 33 Millionen Tonnen an Deutschland.
Fällt ein Produktionsstandort für Medikamente aus, mangelt es oft an Alternativen, was zu Versorgungsengpässen führen kann.
Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände warnt davor, dass rund 500 verschreibungspflichtige Medikamente schwer zu bekommen seien und einige mit Engpässen zu kämpfen hätten. Besonders betroffen sind Antibiotika für Kinder sowie Medikamente gegen Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und Asthma.
„Früher war Deutschland die Apotheke der Welt, heute steht die Weltapotheke in China oder Indien. Und wenn Fabriken dort Produktionsprobleme haben, schlägt sich das sofort in der Versorgung in Europa und Deutschland nieder“, sagte Thomas Preis gegenüber der Bild am Sonntag. Er ist Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände.
Leere Apothekenregale?
Auch Ökonomen und die Pharmabranche haben Bedenken geäußert, dass China den Hahn für Medikamente für Deutschland oder die EU zudrehen könnte. Die Bereitschaft Pekings, wirtschaftliche Abhängigkeiten als Druckmittel zu nutzen, zeigte sich bereits im Zollstreit mit US-Präsident Donald Trump.
Damals verhängte Chinas Staatschef Xi Jinping Exportbeschränkungen für Seltene Erden. Trump gab zunächst nach.
Während seiner jüngsten Asienreise unterzeichnete Trump jedoch eine Vereinbarung mit dem japanischen Premierminister Sanae Takaichi. Beide Länder wollen bei Seltenen Erden künftig enger zusammenarbeiten und so unabhängiger von China werden.
Der Apotheker Müller bezweifelt, dass die Apothekenregale in Deutschland in einem ähnlichen Fall wirklich leer bleiben würden: „Im Notfall würde Deutschland lieber sein Portemonnaie öffnen und teure Medikamente kaufen.“
Dies zeigte sich bereits während der COVID-19-Pandemie.
Auch Deutschland und die EU profitieren massiv von der Auslandsproduktion: „Der Arzneimittelmarkt ist vernetzt. Auch Länder wie China und Indien sind auf Deutschland angewiesen. Ohne die Handelsbeziehungen wären viele chinesische Arbeitskräfte arbeitslos“, sagte Müller.
Um langfristig unabhängiger zu werden, forderte er eine stärkere Fokussierung auf Innovation. Deutschland könnte beispielsweise bei der Entwicklung neuer Medikamente oder neuer Herstellungsverfahren punkten.
„Das globale Netzwerk ist kein Feind, sondern unsere Chance, wenn wir es klug nutzen“, sagte er.